„Das Unkonventionelle ist ja mittlerweile das Konventionelle geworden!“

Selbstbewußter Umgang mit der Tradition:
der Pianist Christof Sänger

Auf allen Kontinenten ist er auf Tour: in Nord- und Südamerika ebenso wie in Osteuropa, in Australien wie in Asien. Im Februar fliegt er für Konzerte und Workshops nach Japan, wo ihn alle zwei Jahre eine treue, kundige Fangemeinde erwartet. Er konzertiert als Solist beim Festival in Montreux, spielt mit lebenden Legenden wie Ernie Watts, Hermeto Pascoal und Sheila Jordan. In New York dienen ihm Musiker wie Bassist George Mraz und Schlagzeuger Al Foster als Sidemen. Seine CD-Aufnahmen werden mit Preisen bedacht, er erhielt Auszeichnungen und Nominierungen. Kritiker bescheinigten ihm virtuose Technik, lobten seine Fähigkeit zur Klanggestaltung und seinen souveränen Umgang mit der Jazztradition. Sein Name steht in den großen internationalen Jazzlexika. Gerade hat er nach einer Deutschland-Tournee im letzten Jahr mit dem amerikanischen Klarinettisten-Star Ken Peplowski ein neues Album vorgelegt.

Der Mann müßte in Deutschland ein gefeierter Klaviervirtuose von internationalem Rang sein. Und doch ist der 1962 in Wiesbaden geborene Pianist nach einer drei Jahrzehnte andauernden Karriere außerhalb seiner Homebase im Großraum Rhein-Main beinahe etwas wie ein musicians‘ musician geblieben, ein Geheimtip unter Kennern und Kollegen, dessen Name nicht so bald fällt, wenn in den relevanten Medien von den wichtigsten Vertretern seines Instruments im deutschen Jazz der Gegenwart die Rede ist.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass Christof Sänger stets geradlinig seinen Weg verfolgte, bodenständig und unbeirrbar. Nie kam er in Versuchung nach den neuesten Trends in der Musik zu schielen. Und seine Vorliebe, seine musikalische Heimat war von Beginn an der swingende Jazz, der Mainstream. „Das Swingende und die Improvisation im Jazz haben mich immer angezogen,“ bekennt er. Avantgarde und Experiment, die Preisgabe von Harmonie und Rhythmus, interessieren ihn ebensowenig wie die Ausweitung des Jazz in die Popmusik. Neben seinen Eigenkompostionen ist für ihn das amerikanische Songbook noch immer eine ergiebige Quelle der Inspiration und der fruchtbare Ausgangspunkt für seine melodische Exkursionen. Dabei steht die Gestaltung des Klavierklangs stets im Focus: etwas, für das im klassischen Bebop mit seinen rasanten Single-Notes der rechten Hand über den gehämmerten scharfen Voicings der Linken kein Raum ist. Selbstbewußt und im Wissen um die Tradition von Art Tatum über Oscar Peterson bis Lennie Tristano stellt er seine Versionen von populären Standards an die Seite der berühmten Vorbilder. Dabei fördert er auch, etwa auf seinem jüngsten Album mit Ken Peplowski, vergessene Perlen aus den dreißiger Jahren wie Ray Nobles „Love Locked Out“ und I follow my secret heart“ von Noël Coward zu Tage. Der Pianist möchte die Songs respektvoll, aber mit einem eigenen Approach anzugehen. Für Sänger geht es um die „Gratwanderung zwischen abstrahieren und nachvollziehbar bleiben“. Die Songs bis zur Unkenntlichkeit zu dekonstruieren ist nicht seine Sache. Aus der Form auszubrechen, hat für ihn nicht einmal mehr den Reiz des Neuen: „Das Unkonventionelle ist ja mittlerweile das Konventionelle geworden“.

Denkt man nur an das drei Jahrzehnte währende Standards-Trio von Keith Jarrett, befindet sich Christof Sänger mit diesem ästhetischen Ansatz in bester Gesellschaft. Und doch ist ihm vielleicht gerade in Deutschland, wo die Grenzen zwischen Avantgarde und Tradition von jeher strenger gezogen werden als in anderen Ländern, nicht die Anerkennung zuteil geworden, die er verdient hätte. Popkulturelle Anleihen sind ja zumindest beim breiten Publikum stets willkommen, aber sich offen zur Tradition zu bekennen, steht in der Jazzszene noch immer im Ruf des Rückständigen. „In Deutschland mußt du dich fast entschuldigen, wenn du Mainstream spielst“ stellt er fest. Aber er ist ja nicht nur hierzulande unterwegs. Das Lagerdenken und die strikte Trennung in Kategorien seien in anderen Ländern unbekannt, etwa in Frankreich, wo der Jazz in allen Spielformen vorturteilsfrei rezipiert werde. Auf seinen Konzertreisen durch Russland, Polen, aber auch in Spanien fiel ihm auch auf, dass die Zuhörer in diesen Ländern deutlich jünger sind als in Deutschland – oder auch in den USA. Swingenden Jazz zu hören scheint nicht unbedingt eine Altersfrage zu sein. Und die Zukunft des Jazz entscheidet sich vielleicht auch nicht hierzulande.

Aber es wäre voreilig, Christof Sänger in die Tradionalisten-Ecke zu stellen. Vielseitigkeit ist auch die Voraussetzung, um stets Engagements zu finden. Natürlich hat er seit 2010 ein Standbein als Pianist der Barrelhouse Jazzband, deren Repertoire allerdings nicht nur beim New-Orleans-Jazz der 20er Jahre stehen geblieben ist, sondern auch in die Swing-Ära und weiter vorstößt. Am anderen Ende des Spektrums stehen aber seine freigeistigen Duos mit Ernie Watts, seine Erfahrungen als Gast des hr-Jazzensemble, mit Solisten wie Heinz Sauer.

Ernie Watts lernte er in einer Fusion-Band kennen, in der sie beide als Gäste engagiert waren. Er begleitete er Watts zunächst auf dessen Deutschland-Tourneen, bis er zum regulären Pianist im Quartett des Saxofonisten wurde und nun schon zwei Jahrzehnte weltweit mit ihm unterwegs ist.

Auch wenn er nie angestrebt hat, Konzertpianist zu werden, Christof Sängers Spielkultur, seine Vorstellung vom spezifischen Klaviersound, von einem individuellen Klangideal verdanken sich auch seinem klassischen Studium. Von diesen Erfahrungen zeugen auch die Kompositionen für Orchester und Jazztrio, die er mit Mitgliedern des Frankfurter Museumsorchesters realisieren konnte.

Und dass selbst ein so profilierter und viel beschäftigter Pianist wie Christof Sänger bis vor wenigen Jahren immer auch auf Lehrtätigkeiten angewiesen war, um seinen Unterhalt zu sichern, wirft ein Schlaglicht auf die ökonomisache Situation von Jazzmusikern. Die Studenten des mittlerweile aufgelösten Jazz-Studiengangs an der Frankfurter Musikhochschule haben davon profitiert. Den jungen Musikern rät er, sich nicht auf ein-, zwei Vorbilder festzulegen, um dann lebenslang Bill Evans oder Keith Jarrett nachzueifern. Die Jazzgeschichte ist größer und baut aufeinander auf, von Jelly Roll Morton bis Cecil Taylor, von King Oliver bis Ornette Coleman. Alles aufnehmen, ohne sich ablenken zu lassen, einen eigenen Weg zu suchen, um mit einer soliden Technik und ohne virtuoses Gehabe seine Ideen umzusetzen, das ist es was Christof Sänger nicht nur lehrt sondern mit seiner Künstlerlaufbahn seit drei Jahrzehnten anschaulich demonstriert.

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